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Faul & Fleißig: Warum die Merzsche Mahnung, “mehr zu arbeiten” unterkomplex ist

Oliver Baumann-Gibbon | 27. Mai 2025 | Arbeitswelt

Symbolbild: Hängematte

Es “arbeitete” in den letzten Tagen in mir: Die mahnende Worte von Kanzler Merz, dass “Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance allein werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, dass wieder mehr und effizienter gearbeitet werden muss. Und ich komme zu dem Punkt, ganz schön unterkomplex und vom Ansatz her kontraproduktiv.

Das arbeitgebernahe Institut der Wirtschaft (IW) haben die durchschnittlichen Arbeitsstunden der Bevölkerung analysiert, und entsprechend ist Deutschland im Vergleich weit hinten. Merz nahm diese Zahlen zum Anlass für seine Pauschalmahnung. Sicherlich, als Arbeitgeber wünscht man sich generell viel Effizienz, einen hohen “Output” weniger kleinteilige Teilzeitmodelle (nicht wegen Teilzeit, sondern aus organisatorischen und somit auch finanziellen Gründen). Zudem muss man festhalten, dass das IW eine interessantes Design vorgenommen hat: Die gesamten geleisteten Arbeitsstunden wurden durch die Gesamtheit aller erwerbsfähigen Menschen in Deutschland geteilt. Dazu später mehr.

Und die Merzsche Logik, dass mehr Arbeit gleich mehr Output sei oder der an vielen Stellen kolportierte Generalverdacht, dass wir eine faule Gesellschaft und insbesondere die jüngere Generation nicht mehr eine richtige Arbeitsmoral habe, erscheint mir in sich nicht schlüssig (zu produzierenden Gewerbe kann ich weniger sagen, hier geht es eher um dienstleistendes und kreatives Arbeiten).

Hier sind meine Schlussfolgerungen und Erkenntnisse:

  • Seit über 100 Jahren arbeiten soziale Bewegungen daran, dass Menschen neben der Arbeit auch Erholung brauchen, Zeit für die Familie und Freizeit, genügend Urlaub haben etc. Man sollte auf die Errungenschaften stolz sein, denn gesunde und zufriedene Mitarbeiter:innen sind i.d.R. weniger krank und machen bessere Arbeit.
  • Das Deutsche Institut für Wirtschaft kommt auf ein anderes Ergebnis als der Lobbyverband IW, die Bruttozahl an Arbeitsstunden sei entsprechend gewachsen, lediglich die Wochenarbeitszeit pro erwerbsfähiger Person ist gesunken.
  • Die Produktivität von Mitarbeiter:innen sinkt mit mehr Stunden. Oder umgekehrt, gerade die Teilzeitarbeitenden von 30 oder 32 Stunden sind extrem gut selbstorganisiert, arbeiten auf Punkt. Leerzeiten kommen nicht vor.
  • Die heutige Arbeit ist so viel dichter, komplexer und oft auch weniger arbeitsteilig. Wir checken selbst unseren “Posteingang”, korrespondieren, schreiben, verfassen, gestalten alles selbst. Und das meist auch in mehreren Projekten und Prozessen parallel. Die Effizienz und Geschwindigkeit des Arbeitens selbst ist enorm gestiegen. Das ist auch anstrengend.
  • Nach wie vor werden in zahlreichen Unternehmen die echten Arbeitsstunden nicht getrackt, unbezahlte Überstunden fließen nicht in die Statistiken ein und würden sicherlich noch einmal ein anderes Bild ergeben. Wir in der Gesellschaft schreiben seit vielen Jahren die Zeiten exakt auf, um eben Überstunden und Überlastungen zu vermeiden.
  • Der implizite Vorwurf der Faulheit, den weniger Merz direkt aber u.a. Carsten Linnemann mehrfach vorbrachte (“keine Leistungsbereitschaft” etc.) erscheint mir wie ein verkümmerter Versuch, New Work, Work-Life-Balance im trumpschen Sinne als “weak oder “woke” zu diffamieren und somit eher spaltend als zusammenführen zu agieren.
  • Es liegt bei dem gesamtgesellschaftlichen Thema v.a. an unserer demografischen Entwicklung. Klar, wir brauchen mehr Arbeitskräfte. Aktuell gehen jedoch sehr viele Menschen in Rente gehen und dies teilweise mehrere Jahre vor ihrem eigentlichen Renteneintrittsalter. Zu wenige kommen nach. Wir haben einfach zu wenige Menschen, die generell arbeiten könnten, ein späteres Renteneintrittsalter, mehr Anreize für Eltern, ausländische Arbeitskräfte, Arbeitszugangserleichterungen für Migrant:innen etc. wären sinnvolle Maßnahmen.
  • Und vielleicht liegt es ja auch daran, dass mehr Frauen in die Jobs gehen, aber auf Grund diverser Gründe halt nur in Teilzeit. Weil entsprechende Betreuungsangebote für Kitas fehlen. Weil familiäre Strukturen es nicht ermöglichen? Weil mehr und mehr Pflegeaufgaben direkt durch die Familien übernommen werden (da zu teuer geworden)? Und das lässt statistisch halt eben die Durschnittsarbeitszeiten sinken (laut Statistischem Bundesamt ist die Arbeitszeit bei Vollzeiterwerbstätigen seit Jahren relativ konstant geblieben und fast die Hälfte aller Frauen arbeiteten in Teilzeit, aber nur elf Prozent aller Männer.)
  • Zahlreiche Pilotmodelle haben ergeben, dass die z.B. bei einer 4-Tage-Woche die Produktivität nicht sinkt, aber die Zufriedenheit steigt, der geschätzte Freund und Kollege Lasse Rheingans ging mit seinem Ansatz noch einen großen Schritt weiter und führte die 25 Stunden-Woche ein (https://rheingans.io/die-5-stunden-revolution). Denn das überraschende wie überzeugende Ergebnis war eine höhere Produktivität in kürzerer Zeit sowie ein begeistertes und kreativeres Team, so schreibt er.

Kurz, wir brauchen eher mehr Flexibilität, Vermeidung von zunehmend bürokratischen Strukturen, mehr gute Angebote und mutige Modelle für verschiedenste Arbeitszeitmodelle und Arbeitsphasen. Und der Fokus sollte auf Produktivität, Kreativität und Qualität liegen. Und das geht nur mit einem zufriedenen, gesunden und erholten Team.